N-Wort

Am Beginn der Auseinandersetzung mit dem N-Wort steht eine lose-lose-Situation: Selbstverständlich mutet es absurd an, vom „N-Wort“ zu schreiben, obwohl jeder sofort weiß, welcher Begriff tatsächlich gemeint ist. Auch muss zugestanden werden, dass die Umschreibung nicht selten zu holprigen Satzkonstruktionen führt. Seine Verwendung illustriert, wie schwer der richtige Umgang mit diskriminierender Sprache sein kann. Das N-Wort ist eine sprachliche Krücke.
Allerdings: Die zweite Möglichkeit, statt dem sprachlichen Notbehelf das eigentlich gemeinte Wort zu verwenden, ist die schlechtere Lösung. Der Begriff verletzt und entwertet. Er markiert Menschen allein aufgrund ihrer Hautfarbe als anders, als nicht normal. Es ist ein niederträchtiger Begriff. So hilflos die Rede vom N-Wort auch erscheinen mag, für den Antirassismus-Führer ist es keine Option, dieses Wort auszuschreiben.

Im öffentlichen Diskurs ausschließlich das N-Wort zu verwenden könnte als eine Art sprachpolitischer Langzeit-Versuch bezeichnet werden. Was dabei rauskommt, wird die Zukunft weisen. Einen Ausblick auf die Folgen kann die Kognitionswissenschaft bieten: In dieser bezeichnet der Begriff Hypokognition „die Nicht-Existenz oder den Wegfall von Ideen durch den Mangel an sprachlicher Umsetzung dieser Ideen. Etwas salopper gesagt: Was in Diskursen nicht gesagt wird, wird schlicht und ergreifend auch nicht gedacht. Denn wo die Worte fehlen, da können auch die Gedanken nicht etabliert werden oder langfristig bestehen.1
Das eigentliche Ziel, in dessen Dienst das N-Wort gestellt wird, geht dabei über die Weise, wie wir kommunizieren, hinaus: Menschen sollen nicht anhand von Merkmalen wie Hautfarbe oder Herkunft in Kategorien gesteckt und abgewertet werden. Die Bezeichnung, die Kategorie soll obsolet werden, weil die zugrunde liegende Idee nicht mehr existiert.

Die Feststellung ist banal und muss doch hervorgehoben werden: Sprache unterliegt einem steten Wandel. Alte Begriffe verschwinden, neue kommen hinzu. Wer kennt noch Worte wie Blümerant, Eidam, fürbass, Hagestolz, Malefizkerl, Mamsell oder spornstreichs? Menschen über 70 werden die Begriffe noch aus ihrer Jugend kennen. Verwenden werden sie diese kaum noch. Parallel finden ständig neue Worte Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch. Bei der Neuauflage des Duden 2017 – vier Jahre nach der vorhergehenden – wurden 5.000 Worte neu aufgenommen. Selfie, Tablet, liken, pixelig, Shitstorm, postfaktisch,… sind nur ein paar Beispiele für Begriffe, mit denen vor wenigen Jahren niemand etwas anzufangen gewusst hätte.
Die stetigen Veränderungen der deutschen Sprache gehen höchst unauffällig vonstatten. Hie und da wird Kritik an den zahlreichen Anglizismen formuliert, aber prinzipiell werden sprachliche Neuprägungen mit großer Selbstverständlichkeit in den allgemeinen Sprachgebrauch integriert. Dem Verschwinden einst gebräuchlicher Worte wird ebenfalls wenig Beachtung geschenkt. Tatsächlich wird dieses in aller Regel nicht einmal bemerkt.

Die Verwendung des N-Wortes ist im Laufe der Zeit ebenfalls zurückgegangen. Bis in die 1980er Jahre galt der Begriff als salonfähige Bezeichnung für Schwarze Menschen – davon kann heute nicht mehr die Rede sein.
Im Unterschied zu den allermeisten Veränderungen in der deutschen Sprache geht die Zurückdrängung des N-Wortes jedoch alles andere als still und leise vor sich. Immer noch heißt es: „Früher hat man das auch gesagt und niemand hat sich beschwert.“ Oder: „Das Wort bedeutet übersetzt doch nur ‚schwarz‘. Was soll daran negativ sein?“ Und wenn in einem Kinderbuch das Wort „N~könig“ gegen „Südseekönig“ ausgetauscht wird, wird Zensur beklagt und von Zuständen gewarnt, wie sie George Orwell in „1984“ erdacht hat. Dass der Begriff Menschen abwertet, will auch heute noch von vielen nicht verstanden werden: „Ein N[…] ist ein N[…], da kann er nichts dafür. Da gibt’s hellere und dunklere.2

Die Ungleichbehandlung des N-Wortes ist zu einem gewissen Teil damit zu erklären, dass der Begriff nicht gleichsam „von selbst“ aus der deutschen Sprache entschwindet. Politische Akteur*innen arbeiten aktiv daran, das N-Wort aus der deutschen Sprache zu verbannen. Wer den Begriff öffentlich beispielsweise in einer Fernsehsendung verwendet, wird dafür vehement kritisiert werden. Nun ist Opposition gegenüber einem manchmal oberlehrerhaft vorgetragenen „Das sagt man nicht.“ verständlich, als Erklärung reicht dies allerdings nicht aus.
Das Beharren darauf, das N-Wort weiter zu verwenden oder in Kinderbüchern stehen zu lassen, ist wesentlich eine Macht-Frage. Wenn der Begriff in vergangenen Jahrzehnten verwendet wurde, ohne Widerspruch hervorzurufen, lag das in erster Linie daran, dass wenig Schwarze Menschen hierzulande lebten. Kritik am N-Wort wurde öffentlich nicht lautstark artikuliert und es ist nachvollziehbar, dass Menschen dieses benutzten, ohne sich über den abwertenden Charakter das Begriffs im Klaren zu sein. Heute dagegen ist allgemein bekannt, dass das N-Wort negativ konnotiert ist und als Schimpfwort verstanden wird. Zahlreiche Interessensgemeinschaften Schwarzer Menschen haben im öffentlichen Diskurs wieder und wieder Kritik an dessen Verwendung geübt und dargelegt, warum sie mit diesem Begriff nicht bezeichnet werden wollen.
Wenn diesem Recht auf Selbstbenennung heute widersprochen wird, ist die unausgesprochene Aussage dahinter: „Zurück an deinen Platz.“ Die diesbezügliche Argumentation könnte in etwa folgendermaßen klingen: „Mag sein, dass sich einige an dem Begriff stören – aber wir haben diesen Begriff immer schon verwendet. Wir meinen es ja nicht abwertend. Warum sollen wir also etwas daran ändern?
Wenn wir das N-Wort immer schon verwendet haben und wir daran nichts ändern wollen, dann ist offenbar, dass Schwarze Menschen bei diesem „Wir“ nicht mitgemeint sind.
Das N-Wort bezeichnet eine marginalisierte Minderheit. Für die machtvolle Wir-Gruppe ist es selbstverständlich, diese nach eigenem Gutdünken zu benennen.

Haupt-Argumente gegen die Verwendung
Warum es falsch ist, das N-Wort zu verwenden, ist in drei Punkten schnell erklärt. Bereits der Blick in die Historie des Begriffs lässt wenig Zweifel offen:
Begriffsgeschichte und -bedeutung: Die Geschichte des N-Wortes ist die der rassistischen Unterdrückung. Im Deutschen aufgekommen ist der Begriff im 17. Jahrhundert in Zusammenhang mit dem atlantischen Sklavenhandel, als die Europäer Afrikaner zur Handelsware machten. Der Begriff steht damit in engstem Zusammenhang mit Kolonialisierung, Völkermord, Zwangsarbeit. Die ersten Menschen, die mit dem N-Wort bezeichnet wurden, waren Versklavte.
Mit dem Aufkommen der Rassentheorien im 18. Jahrhundert etablierte sich das N-Wort in Wissenschaft, Literatur und Umgangssprache. Bei der Einteilung der Menschheit in Rassen landeten die mit dem N-Wort-Bezeichneten in der Rangordnung ganz unten: dem Affen näher als dem weißen Herrenmenschen. Das N-Wort nahm dabei stets auf mehr als nur die Hautfarbe Bezug. Es war eng verknüpft mit Vorstellungen von Animalität, Primitivität, Inferiorität, Faulheit, Rückständigkeit. „Der N[…] stellt den natürlichen Menschen in seiner ganzen Wildheit und Unbändigkeit dar. […] Es ist nichts an das Menschliche Anklingende in diesem Charakter zu finden.“ hieß es zum Beispiel bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Bei Immanuel Kant stand zu lesen: „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. […] Die N[…] von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“ Die Rassentheorien reichten die Begründung für Kolonialismus und Sklaverei nach. Macht es doch einen gewaltigen Unterschied, ob man seinesgleichen oder eine Rasse von Untermenschen versklavt.
Nun kann man die Begriffsbedeutung aus vergangenen Zeiten nicht mit der heutigen gleichsetzen, doch von seiner Vergangenheit entkoppelt lässt sich das N-Wort nicht betrachten. In dem Begriff ist die jahrhundertealte Geschichte aus Herabsetzung und Entmenschlichung komprimiert. Das N-Wort meint stets auch Unterdrückung – und liefert parallel dazu eine Rechtfertigung, warum die Unterdrückung in Ordnung geht.
Ablehnung durch Schwarze Menschen: Menschen, die mit dem N-Wort bezeichnet werden, lehnen den Begriff ab und fassen ihn geschlossen als Beleidigung auf. Mehr müsste nicht gesagt werden. Es ist schlicht eine Frage des Respekts, Menschen nicht mit Worten zu benennen, die sie ablehnen.
Schwarz = fremd: Jemanden mit dem N-Wort zu bezeichnen, erinnert diesen daran, dass sich die Gesellschaft als weiß versteht. Denn für jene, die „weiß“ sind, gibt es kein Wort. Weiß ist die Norm. So gesehen scheint auch nichts dabei, wenn sich „nicht-weiße“ Menschen fragen lassen müssen: „Woher kommst Du?“
Dass jemand eine dunkle Hautfarbe hat, macht zweifelhaft, ob er von hier ist, ob er dazugehört.
Das N-Wort zu verwenden schreibt die Unterteilung der Gesellschaft in „weiß = normal“ und „schwarz = fremd“ fort. Menschen mit dunkler Hautfarbe werden durch den Begriff als anders markiert.

Diskussionstipps
Wie gezeigt wurde, gibt es gute Gründe, das N-Wort nicht zu verwenden. Das wichtigste Argument gegen den Begriff ist praktischerweise auch das am einfachsten zu erklärende: Die damit bezeichneten Menschen betrachten den Begriff als verletzend und wollen damit nicht beschrieben werden. Also verwendet man ihn nicht. Punkt.
Im Folgenden sollen – zum Teil rekapitulierend – die häufigsten Argumente, welche die Verwendung des N-Wortes entschuldigen oder verharmlosen, widerlegt werden. Den Abschluss machen Vorschläge für alternative Begriffe.
(1) nicht böse gemeint:Ich mein’s ja nicht bös.“ ist wahrscheinlich einer der am häufigsten benutzen Ausreden. Doch selbst wenn es stimmt: Worte tun ihre Wirkung unabhängig von der zugrundeliegenden Absicht. Entscheidend ist, was ankommt – und nicht wie es gemeint ist. Das N-Wort ist herabwürdigend und markiert Schwarze Menschen als nicht der Norm entsprechend. Selbst Wörterbücher weisen auf den diskriminierenden Charakter des Begriffs hin. Der Duden seit dem Jahr 1996: In der 21. Auflage steht, dass das N-Wort „auch abwertend“ gebraucht werden kann. Seit der 22. Auflage von 2000 wird festgehalten dass es als „diskriminierend empfunden“ wird. 2004 empfahl der Duden in einem Newsletter, dass die Bezeichnung „im öffentlichen Sprachgebrauch nicht mehr verwendet werden“ sollte. Gegenwärtig heißt es: „Die Bezeichnung […] gilt im öffentlichen Sprachgebrauch als stark diskriminierend und wird deshalb vermieden.
Es besteht kein Zweifel: Das N-Wort ist ein Schimpfwort. Es ist nur das einzige, von dem behauptet wird, es sei nicht abwertend gemeint.
(2) früher verwendet: Wie bereits gesagt, war das N-Wort bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts eine gängige Bezeichnung für Schwarze Menschen. Insofern mag es zutreffen, dass das N-Wort früher auch auf arglose Weise gebraucht wurde. Heute jedoch ist es Allgemeinwissen, dass der Begriff als negativ konnotiert gilt. Dass etwas früher so war, ist per se kein Argument, es in der Gegenwart fortzuführen.
Sprache ist beständiger Veränderung unterworfen. Laufend finden neue Begriffe Eingang in den Sprachgebrauch, während alte verschwinden. Dabei geht es nicht nur um Worte, die ihren Nutzen verlieren, weil das, was sie beschreiben, nicht mehr existiert oder praktiziert wird. Auch die Art und Weise, wie Menschen(gruppen) beschrieben werden, hat sich verändert: Der allgemeine Sprachgebrauch ist sensibler geworden – und in den allermeisten Fällen, ohne dass darüber öffentliche Diskussionen ausgebrochen wären: Niemand argumentiert dafür, einen Rollstuhlfahrer als „Krüppel“ bezeichnen zu dürfen; niemand beklagt Sprechverbote, wenn kleinwüchsige Menschen weder „Zwerg“ noch „Liliputaner“ genannt werden wollen; wer „Schlitzaug“, „Rothaut“ oder „Spaghetthifresser“ sagt, weiß wohl, dass es sich dabei um beleidigende Schimpfwörter handelt; „Weib“ sagt man schon lang nicht mehr; tippt man „Jud“ oder „Itzig“ ins Schreibprogramm, spendiert die Rechtschreibprüfung eine rot-gewellte Unterstreichung.
Der Beispiele ließen sich weitere anführen, doch der Punkt ist klar: Eine Gegenüberstellung dieser Begriffe mit dem N-Wort macht die Ungleichbehandlung von letzterem offenbar. Wer darauf besteht, das N-Wort – so wie früher – weiter zu verwenden, sollte gefragt werden, ob er es mit Begriffen wie „Krüppel“, „Jud“ oder „Liliputaner“ gleichermaßen hält.
(3) Ursprungsbedeutung: Des Antirassismus-Führers Favorit aus der Abteilung pseudo-gebildete Scheinargumente: „N[…] kommt von lateinisch „niger“ und bedeutet schwarz. Was soll daran schlimm sein?
Darauf ist zu erwidern, dass das N-Wort tatsächlich nicht aus dem Lateinischen, sondern aus dem Spanischen und Portugiesischen entlehnt wurde. Und zwar zur Zeit des atlantischen Sklavenhandels. Das N-Wort bezeichnete ursprünglich Sklaven, Untermenschen, primitive Rassen. Wenn also die Begriffsgeschichte herangezogen wird, um den Gebrauch des N-Wortes zu verharmlosen, ist darauf hinzuweisen, dass der Entlehnungszusammenhang weitaus schwerer wiegt als die Ursprungsbedeutung. Entscheidend ist, was ein Wort beschreibt, nicht was es ursprünglich bedeutete. Zur Veranschaulichung ein Vergleich: Der Begriff „Idiot“ beschrieb im antiken Griechenland eine „Privatperson“. Wendet man die Logik jener an, die am N-Wort nichts Negatives erkennen wollen, weil es auf Lateinisch nur „schwarz“ bedeutet, wäre es keine Beleidigung, jemanden „Idiot“ zu nennen. „Das ist keine Beleidigung! Das kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet Privatperson.
(4) worst case-Widerlegung:Mir wurde auch ‚Die kleine Hexe‘ vorgelesen und ich bin kein Rassist geworden.“ Vor allem in Diskussionen über die Streichung des N-Wortes aus Kinderbüchern wird zu diesem rhetorischen Trick gegriffen: Man nimmt einen völlig unrealistischen, schlimmsten Fall an – und verschafft sich einen (vermeintlichen) Diskussionsvorteil, in dem man diesen widerlegt. „Glaubt im Ernst jemand, man erziehe Astrid-Lindgren-Leser zu Rassisten, wenn man den Text nicht reinige?3
Nein. Glaubt niemand. Behauptet auch niemand. Wer die Verwendung des N-Wortes verteidigen will, soll sich mit jenen Argumenten auseinandersetzen, die tatsächlich dagegen ins Treffen geführt werden. Und nicht mit erfundenen.
(5) bringt nichts: Immer wieder ist zu hören, dass das Tabuisieren des N-Wortes oder dessen Streichung aus Kinderbüchern vergebens ist, da es nichts an tatsächlichen Diskriminierungen ändert. So argumentierte beispielsweise Christine Nöstlinger in der Kinderbuch-Debatte: „Rassismus ist eine Gesinnung, an der sich leider wenig ändert, wenn man Wörter abschafft.4 Ein Standpunkt, dem in Teilen zuzustimmen ist: In der Tat würden Herabwürdigungen im Alltag nicht unmittelbar enden, wenn man das N-Wort aus der Sprache verbannte. Und natürlich könnten Schwarze Menschen diskriminiert werden, auch wenn es keine Bezeichnung für sie gäbe. Aber: Eine Gesellschaft, die konsequent auf das N-Wort verzichtete, wäre ein weitaus lebenswerterer Ort für Schwarze Menschen. Verletzungen, welche das N-Wort verursacht, gäbe es keine mehr. Es wäre auch ein bisschen schwieriger, Menschen mit dunkler Hautfarbe als anders zu markieren. Wenn das Wort aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwände, könnte das – langfristig gedacht – dazu führen, dass die dem Wort zugrundeliegende Idee nachhaltig geschwächt würde.
Wie auch immer man zu der Behauptung steht, dass eine veränderte Sprache nichts an tatsächlichen Diskriminierung im Alltag ändere, der entscheidende Einwand ist ein höchst einfacher: Darum geht es nicht.
Niemand streitet gegen das N-Wort, weil er sich von dessen Ächtung das Ende aller Menschenfeindlichkeit erwartet. Der Begriff soll aus Respekt gegenüber Schwarzen Menschen nicht verwendet werden; der Begriff wird abgelehnt, weil er Menschen ausschließt und weil er die blutige Geschichte rassistischer Unterdrückung in sich trägt. Zu argumentieren, dass eine Tabuisierung des N-Wortes nichts bringt, legt eine falsche Fährte.
(6) kontraproduktiv: Verknüpft mit der vorherigen Relativierung wird häufig das Argument gebracht, dass der Versuch, Begriffe zu unterdrücken, nach hinten los ginge. Tabus hätten prinzipiell eine hohe Anziehungskraft – wenn darüber hinaus die „Political Correctness-Sheriffs5 mit ihrer „Hypermoral“ zu weit gingen, wäre die Folge, dass man Begriffe wie das N-Wort erst recht sagt.
Abgesehen davon, dass diese Argumentationsweise die Gesellschaft betrachtet, als wäre sie ein Kleinkind in der Trotzphase, führt auch sie in die Irre. Es stimmt, dass Tabus anziehend wirken können. Ein stichhaltiges Argument für die Weiterverwendung des N-Wortes ist dieser Umstand jedoch keineswegs: In der gleichen Logik kann man gegen jede Form von Ge- oder Verboten streiten.
Am Beispiel Alkoholkonsum: Jugendliche unter 16 Jahren dürfen Alkohol weder erwerben noch konsumieren. Viele tun es trotzdem und für manche wird es anfangs einen gewissen Reiz ausmachen, dass man etwas Verbotenes tut. Kommt deswegen irgendwer auf die Idee, das Alkoholverbot für Jugendliche aufzuweichen oder abzuschaffen?
(7) Eingriff in Literatur: Ein Argument spezifisch gegen die Streichung des N-Wortes aus Kinderbüchern: Argumentiert wird, dass die Wortwahl von AutorInnen der Zeit entspricht, in der der Text geschrieben wurde. Es versteht sich somit von selbst, dass auch das N-Wort in älteren Büchern vorkommt. Und dort soll es bleiben. Denn ein Austausch einzelner Worte wäre ein tief gehender Eingriff in das literarische Werk und würde dieses verfälschen.
Als Replik darauf ist erstens in Frage zu stellen, ob es tatsächlich als Verfälschung bezeichnet werden kann, wenn beispielsweise Pippi Langstrumpfs Vater fortan als „Südseekönig“ beschrieben wird. Wer angesichts solcher kosmetischer Veränderungen von Zensur oder Fälschung spricht, sollte genau erklären können, warum dies der Fall sein soll. Und wird daran scheitern. Tatsächlich geht es (nicht nur) in Kinderbüchern in erster Linie um die Geschichte, die erzählt wird. Der Austausch einzelner Begriffe ändert in aller Regel nichts an der Erzählung.
Zweitens ist festzuhalten, dass Verlage bei Übersetzungen oder Neuauflagen regelmäßig Veränderungen vornehmen, ohne dass daran zu irgendeiner Form Kritik geführt werden würde: In Enid Blytons Kinderbuch-Klassiker „The Adventurous Four“ von 1941 waren die Bösewichte Nazis. Als das Buch 1969 ins Deutsche übersetzt wurde, machte man aus ihnen Waffenschmuggler ungenannter Nationalität. Als Thomas Brezinas „Knickerbocker-Bande“ neu aufgelegt wurde, kam Musik nicht mehr aus einem Walkman, sondern aus einem MP3-Player. Im Falle der „Knickerbocker-Bande“ warb der Verlag sogar offen mit den sprachlichen Modernisierungen. 6
(8) Alternative: Ja, es sind harte Zeiten, wenn in der Sprache Rücksicht auf Minderheiten genommen werden soll. Überall lauern „Sprechverbote“ und ständig läuft man Gefahr von „Gutmenschen“ und „Tugendterroristen“ mit der „Moralkeule“ eins drüber zu kriegen. Was darf man überhaupt noch sagen?
Tatsächlich darf man beinahe alles sagen. Was nicht unter Verhetzung fällt oder nationalsozialistischer Wiederbetätigung entspricht, darf man sagen. Dazu zählt selbstverständlich auch das N-Wort. Man muss nur damit leben, dass man für dessen Verwendung Kritik einstecken wird. Dabei gäbe es einen Ausweg, der gar nicht sonderlich kompliziert ist. Man sagt „Schwarze Menschen“ oder „People of Color”.

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1 Elisabeth Wehling: Politisches Framing. Berlin: Ullstein 2018
2 Gerhard Schmid (FPÖ Nationalratsabgeordneter 2013 – 2017 ), zit. nach: Der Standard, 9.4.2014
3 Ulrich Greiner: Kinderbücher: Die kleine Hexenjagd, in: Die Zeit, 4/2013
4 Christine Nöstlinger: Kinderbücher: Der Neger bleibt ein Neger, in: Die Zeit, 05/2013
5 ebda.
6 vgl.: Anatol Stefanowitsch: Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen. Berlin 2018, S. 14/15