Fünf Weiße im Halbkreis witzeln, na und?

Die viel kritisierte WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ gab einen guten Einblick in die Perspektive ignoranter „Mainstream-Inländer“.

In der WDR-Sendung „Die letzte Instanz“ wurde zum 836. Mal die Frage erörtert: Was darf man überhaupt noch sagen? Darauf folgten ein kleiner Proteststurm, der sich vor allem auf Twitter entlud, sowie Entschuldigungen des Senders, des Moderators und zweier Talk-Gäste.
Kern der Kritik: Da sitzen fünf Weiße mit überschaubarer Diskriminierungserfahrung im Halbkreis und witzeln über hypersensible Minderheiten. Man kennt diese Konstellation, und man kennt die Kritik daran. Ich frage mich also: Muss ich das sehen? Erwartet mich da irgendetwas Neues?
Weil man die Hoffnung nie aufgeben soll, schaue ich mir „Die letzte Instanz“ doch an und werde überrascht. Der Grund dafür liegt nicht im Inhalt der Sendung – den Proteststurm hat sich die Talk-Runde redlich verdient. Überraschend ist, dass ich dem Trauerspiel etwas Positives abgewinnen kann.

Zuerst aber zur Sendung: Aufhänger ist die Namensänderung von Knorrs „Zigeunersauce“ in „Paprikasauce ungarischer Art“. Das ist zwar schon im August 2020 geschehen und hat damals niemanden interessiert, bietet aber eine erste Gelegenheit, unisono den Kopf zu schütteln und Witzchen über „Zigeuner“ zu wiederholen („Sauce ohne festen Wohnsitz“, hihi). Natürlich werde man weiterhin „Zigeunerschnitzel“ oder „-sauce“ bestellen, weil früher hat man das ja auch gesagt! Im Übrigen sei das eigentlich Problematische, dass Barbara Schöneberger für den zitierten „Ohne Wohnsitz“-Witz seinerzeit kritisiert worden ist. Zwischenfazit: „Erschreckend“, wie wenig Humor es in Deutschland gebe.

Der Rest der Sendung, für welche „OK, Boomer“ als Titel auch passend gewesen wäre, geht in dieser Tonart weiter. Der heiteren Runde ist dabei insofern zu gratulieren, als sie so gut wie keine der altbekannten Rechtfertigungen gegen einen rücksichtsvollen Sprachgebrauch auslässt:

► „Ich meine es ja nicht diskriminierend.“ (Merke: Es gilt allein, wie ich es meine, und nicht, wie ein anderer es versteht.)
► „Ich habe ausländische (,farbige‘) Freunde, und die interessiert das überhaupt nicht.“ (Anekdoten sind immer noch das beste Argument, um strukturelle Probleme beiseitezuschieben.)
► „Es gibt viel wichtigere Probleme.“ (Als würden wir uns ausschließlich mit den wichtigen Problemen beschäftigen; als müssten erst die schwerwiegenden Aufgaben gelöst werden, bevor kleinere angegangen werden dürfen.)
► „Heute wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt.“ (Übertreibungen sind der Motor des Anti-Political Correctness-Diskurses. Die Begriffe, um die es in der Regel – und auch in dieser Sendung – geht, werden begründet kritisiert.)
► „Fangen wir mal an, einfach alle lockerer zu werden!“ (Selbstverständlich liegt es an Vertretern und Vertreterinnen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft zu entscheiden, worüber sich Minderheiten beschweren dürfen.)

Die klare Botschaft, die von der Runde ausgeht: Die Kritik an bestimmten „politisch unkorrekten“ Begriffen ist nichts, was man ernst nehmen müsste. Vorschläge für rücksichtsvollere Begrifflichkeiten werden süffisant abgekanzelt, Gendern ist selbstverständlich auch etwas Lächerliches.
Die Ignoranz, die von den Talk-Gästen mehrheitlich an den Tag gelegt wird, ist beachtlich. An einer Stelle beharrt Moderator Steffen Hallaschka darauf, dass sich Menschen durch bestimmte Worte nun einmal diskriminiert fühlen – doch Schlagersänger Jürgen Milski weiß es besser: „Das stimmt überhaupt nicht!“ Das Statement des Zentralrats der Sinti und Roma gegen die Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ ordnet Schauspielerin Janine Kunze folgendermaßen ein: „Da sitzen zwei, drei Leute, die haben vielleicht auch nichts Besseres zu tun und fangen – in meiner Welt – mit so einem Quatsch an.“ Wenige Momente davor, als der Moderator den Zentralrat der Sinti und Roma erstmals anspricht, geht ein spöttisches Raunen durch die Runde („Ja, ja.“). Eine Bürgerrechtsbewegung, deren Bestehen nicht getrennt von dem beschämenden Umgang der Bundesrepublik mit den Opfern des Porajmos betrachtet werden kann, wird hier behandelt, als handelte es sich um obskure Sonderlinge.

Ja, so kann es laufen, wenn man zu einer Sendung über diskriminierenden Sprachgebrauch keine Betroffenen einlädt, sondern nur Menschen, die persönlich Ausländer kennen. Im Talk zeigt sich, dass jedenfalls drei von vier Gästen jegliches Gespür für die Problematik herabwürdigender Sprache fehlt. Kunze z. B. glaubt, Expertise mitzubringen, einfach weil sie „eine blonde Frau mit relativ großer Brust“ ist. Und Thomas Gottschalk „weiß, wie sich ein Schwarzer fühlt“, seit er als Jimi Hendrix verkleidet auf einer Banker-Party war.

So schwer die zur Schau gestellte Ignoranz zu fassen ist – sie führt zu jenem Aspekt der Sendung, der positiv gedeutet werden kann: Auch als Nichtbetroffener bekommt man einen lebhaften Eindruck von der Mentalität, an der People of Color mitunter verzagen müssen. Das Wegwischen, das Verächtlichmachen, das Nicht-ernst-Nehmen der Forderungen von Minderheiten führen deutlich vor Augen, worum es eigentlich geht und was in dieser Runde fehlt: Rücksichtnahme und Respekt.
Wenn Menschen artikulieren, dass sie bestimmte Fremdbezeichnungen ablehnen, weil sie diese als verletzend empfinden, dann verwendet man diese Begriffe eben nicht mehr.
Könnte man meinen. Doch vielen Vertretern der sogenannten Mehrheitsgesellschaft erscheinen solche Anliegen schlicht zu unwichtig. Ärgerlich hingegen ist es, aufgefordert zu werden, das eigene Verhalten zu hinterfragen. Es lässt tief blicken, dass die Talk-Runde Empfehlungen für respektvolle Sprache verlacht, jedoch eine ernste Miene aufsetzt, sobald es um die eigene Befindlichkeit geht: Das alles sei doch „nervig“. O-Ton Kunze: „Wir problematisieren so viel, und wir terrorisieren dann auch so viel.“ Milski redet sich gar in eine kleine Rage und ruft aus: „Was thematisiert ihr noch alles in diesem Land?!

„Die letzte Instanz“ zeigt deutlich, dass es aus der Perspektive ignoranter „Mainstream-Inländer“ bei dem Thema nicht um die Situation von Minderheiten geht, sondern um die „Zumutungen“, die der Mehrheit aufgebürdet werden. Folgerichtig diskutieren wir immer wieder aufs Neue die Frage, was man überhaupt noch sagen darf. Jedoch nie die Frage, wie Sprache für alle Mitglieder der Gesellschaft respektvoller werden kann.

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Hinweis: Die hier besprochene Ausgabe der WDR-Talk-Reihe „Die letzte Instanz“ wurde bereits am 30. November ausgestrahlt, fand damals aber kaum Beachtung. Erst bei der wiederholten Ausstrahlung Ende Jänner wurde Kritik laut. Moderator Steffen Hallaschka diskutierte mit Schlagersänger Jürgen Milski, Moderator Micky Beisenherz, der Schauspielerin Janine Kunze und Thomas Gottschalk über vier verschiedenen Themenkomplexe, einer war Alltagsrassismus. Der WDR hat mittlerweile reagiert und eine Erklärung vor die Sendung in der Mediathek gestellt mit den Worten: „Rückblickend ist uns klar: Bei so einem sensiblen Thema hätten unbedingt auch Menschen mitdiskutieren sollen, die andere Perspektiven mitbringen und/oder direkt davon betroffen sind. Wir lernen daraus und werden das besser machen.“

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Erschienen in: Die Presse, 16. Februar 2021