Ethnisierung/ Kulturalisierung

Die Feststellung ist gleichermaßen banal wie unstrittig: Die Welt ist ein komplexer Ort und die Gründe, dass die Welt so funktioniert, wie sie funktioniert, sind mannigfaltig. Auch Menschen mit rassistischem Weltbild würden dieser Aussage grundsätzlich zustimmen. Geht es jedoch um konkrete Problemfelder, gleicht deren Perspektive einem Tunnelblick: Die Ursache eines Problems suchen Rassisten stets bei „den Anderen“. Für sie erklären weder individuelle noch gesellschaftliche noch systembezogene Zusammenhänge, wie es zu einem Problem oder Konflikt gekommen ist. Die Erklärung liefert schlicht die Andersartigkeit – oder besser: Schlechtigkeit – „der Anderen“. Seien es Ausländer, Flüchtlinge, Muslime, Türken, Rumänen oder irgendeine andere, tendenziell aus einer ärmeren Region stammende Gruppe: Sie sind die Schuldigen.
Diese Behauptung eines Kausalzusammenhangs zwischen einem Problem und einer bestimmten Gruppe wird mit Ethnisierung oder Kulturalisierung beschrieben.1

Wie wird diese Instrumentalisierung von Gruppenzugehörigkeit in rechten Diskursen vollzogen: Am Beispiel Kriminalitätsberichterstattung und der Reaktionen in Online-Foren darauf: Wird z.B über eine Beziehungstat berichtet und beim Täter handelt es sich um einen ausländischen Staatsbürger – sofern das Nachrichtenmedium diese Information anführt, kann davon ausgegangen werden, dass in einem Großteil der Online-Kommentare vor allem die Herkunft des Täters Thema sein wird. Die Tat wird mit dessen „kulturellen Hintergrund“ erklärt, die „unterschiedliche Mentalität“ ins Treffen geführt sowie „Überfremdung“ allgemein beklagt werden. Dass bei Beziehungstaten (sowie bei sämtlichen anderen Delikten) in aller Regel individuelle Motive beschreiben, warum es zu dem Verbrechen gekommen ist, wird ausgeblendet. Stattdessen wird vermittelt, dass die Gruppenzugehörigkeit das Handeln des Täters determiniert hat.
Ein weiteres Beispiel für die Ethnisierung von Problemen zeigt sich im Bildungsdiskurs: Worin besteht heute das Hauptproblem im Bildungsbereich? Rechte Antwort: Es sind zu viele Kinder mit Migrationshintergrund in den Klassen. Diese können kein Deutsch und in ihrer Herkunftskultur mangelt es allgemein an Wertschätzung für Bildung. Rechter Lösungsvorschlag: Einwanderung beschränken und Schulkinder segregieren.2

Es ist einerlei, um welches politische oder gesellschaftliche Thema es sich handelt: In rassistischen – tendenziell auch in rechten – Diskursen wird in homogenen Gruppen gedacht. Diese unterscheiden sich angeblich so stark voneinander, dass das Zusammenleben dieser Gruppen gezwungenermaßen zu Konflikten führt. Der Einfluss der Gruppe auf das Individuum wird dabei als außerordentlich mächtig vorgestellt. Gemäß rechter Logik muss das so sein. Wäre Gruppenzugehörigkeit eine belanglose Kategorie, würde sich all das Gezeter über „kriminelle Ausländer“, „integrationsunwillige Türken“ oder „kulturfremde Muslime“ ad absurdum führen.
Ethnisierung bzw. Kulturalisierung beschwört kulturelle Differenzen und reduziert komplexe Probleme auf die Frage der Herkunft. Da die Zugehörigkeit zu einer ethnisch oder kulturell definierten Gruppe im Rassismus nicht ablegbar ist, kommt als Lösung nur eine Option in Frage: der Ausschluss der als fremd definierten Gruppe.

Diskussionstipps
(1) Situation benennen: Wenn jemand dazu neigt, auf schwierige Fragen sinngemäß mit „Die Ausländer sind schuld!“ zu antworten, sollte man die Sache beim Namen nennen: Wer so argumentiert, der macht es sich zu leicht und denkt in Schubladen. Mit Pauschalisierung und dem Beschwören von Sündenböcken wurde noch nie ein Problem sinnvoll gelöst. Mit Hetze ebenso wenig.
(2) zu Ende denken: Wenn gesellschaftliche Konflikte auf kulturelle Differenzen zurückgeführt werden oder ausgewählte Gruppen für ein Problem verantwortlich gemacht werden, steht unausgesprochen immer eine Schlussfolgerung im Raum: Würden „wir“ diese Gruppe loswerden, gäbe es das Problem nicht. Diese „Lösung“ ergibt sich implizit, sollte aber explizit gemacht werden: Wenn z.B. Kriminalität zu großen Teilen ein „importiertes“ Problem ist, was ist daraus zu folgern? Sollen die Grenzen dicht gemacht werden? Sollen in der EU wieder Grenzkontrollen eingeführt werden? Wie geht man mit jenen Gruppen um, die für die Kriminalität verantwortlich gemacht werden? Rigoros ausweisen? Wenn ja, wie geht man da vor? Wer darf bleiben, wer muss gehen? Sollte man die Sippenhaft wieder einführen?

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1 Rein sprachlich haben Ethnisierung oder Kulturalisierung zwar unterschiedliche Bezugspunkte, doch in der Praxis ist eine Abgrenzung der beide Begriffe voneinander zwecklos, da sie auf das Gleiche hinauslaufen.

2 Es war 2018 einer der ersten Beschlüsse der FPÖVP-Regierung, Kinder, die Deutsch-Defizite haben, von den anderen Kindern zu trennen und in eigenen Klassen zusammenzufassen. Warum: Weil Kinder am besten Deutsch lernen, wenn rund um sie auch keiner Deutsch kann.